Klassentreffen finden in Leipzig fast in jeder Woche statt. Und jedes ist auf seine Weise besonders. Trotzdem kann man von dem heutigen Treffen behaupten, dass es ungewöhnlich ist. Denn wenn heute Schüler und Lehrer der ehemaligen 48. Grundschule zusammenkommen, muss man etwas genauer hinschauen, um zu erkennen, wer damals die Schulbank drückte und wer an der Tafel stand. Der Grund: Schüler und Lehrer trennen gerade mal zehn Jahre. Und noch eine Besonderheit gibt es: In diesem Jahr werden alle Abgänger des Jahres 1952 der damaligen Klasse 8b runde 70 Jahre alt. Und die Lehrer entsprechend 80.
„Ist das nicht Wahnsinn, dass die ihre alten Lehrer immer noch sehen wollen?“, freut sich Ruth Wolff beim Fototermin. Die ehemalige Russischlehrerin, die damals noch Pötzsch hieß, ist überwältigt vom Organisationstalent und dem Drang nach Aufarbeitung der Schulzeit ihrer einstigen Schützlinge. „Wir sind doch eigentlich alte Knacker!“, lacht sie und erntet prompt ein „Das stimmt, aber wir doch auch!“ von Siegfried Walther. Er gehört zum fünfköpfigen Organisationsteam des Klassentreffens. Seit 2002, anlässlich der 50-jährigen Schulentlassung, kommen Lehrer und Schüler regelmäßig zusammen, um in Erinnerungen zu schwelgen.
Derer gibt es viele. Was auch daran liegt, dass die Pädagogen von damals nicht nur beruflich, sondern auch privat viel erlebten. Denn vier der Lehrer heirateten untereinander. Ruth Pötzsch und Klassenlehrer Richard Wolff verliebten sich ebenso wie Sportlehrerin Ilse Artzt und Physiklehrer Gerhard Hanemann.
„Das war schon eine verrückte Zeit. Wir sind 1944 eingeschult worden. In der fünften Klasse bekamen wir dann neue Lehrer“, erinnert sich Werner Willmer. Er und seine Mitschüler waren elf Jahre, Mathematiklehrer Richard Wolff gerade mal 22. Frisch von der Ausbildung war dies seine erste Anstellung an der Schule in der Könneritzstraße, die heute Domizil der Leipzig International School ist. „Aufgrund des geringen Altersunterschieds hatten wir besonders zu unserem Klassenlehrer Wolff eine gute Beziehung“, berichtet Siegfried Walther. Wohl zu gut, denn in der siebten Klasse entschied sich der Direktor für einen Wechsel. „Das ließen wir uns nicht gefallen, missachteten die Anweisungen des neuen Lehrers, provozierten ihn regelrecht. Was dann mit dem Rohrstock geahndet wurde“, schmunzelt Walther. Schmerzen, die sich lohnten, denn ein Jahr später unterrichtete wieder Richard Wolff seine Klasse.
Ein Grund für den Zusammenhalt zwischen Lehrern und Schülern war zweifelsohne das Engagement der Pauker. „Die haben mit uns immer besondere Fahrten unternommen. Große Radtouren in den Sommerferien. Oder Wandertage durch das Erzgebirge“, zählt Siegfried Walther auf. Die Strecken ist Lehrer Wolff zuvor immer mit dem Motorrad abgefahren, hat Übernachtungen organisiert. „Wir haben einmal auf Strohmatten in einem Klassenzimmer geschlafen. Heute völlig undenkbar, damals das Beste, was man bekommen konnte. Auch wegen des Geldes, das knapp war“, so Walther.
Solche und andere Geschichten erzählen sich die Schüler und Lehrer auch bei ihrem heutigen Treffen im Gartenlokal „Drei Kastanien“.
Aufzuarbeiten gibt es viel, auch aktuellere Dinge. Richard Wolff beispielsweise ist ein großer Eisenbahn-Fan. Zur Fußball-WM kaufte er sich für 350 Euro ein Sonderticket der Bahn und bereiste nahezu ganz Deutschland. Ebenso nutzte er vor drei Jahren ein Angebot der Schweizer Staatsbahn und fuhr mit Zügen, Zahnradbahnen und Schiffen. „Zu unserem heutigen Treffen soll er von diesen Reisen erzählen“, so Walther. Und damit Richard Wolff und seiner Frau Ruth die Geschichten nicht ausgehen, bekommt das Ehepaar heute zum quasi „160. Geburtstag“ eine weitere Zugreise geschenkt. Zusammenhalt unter Lehrern und Schülern, wie es ihn heute wohl nur noch sehr selten gibt.
Erschien am 4. Februar 2008 in der Leipziger Volkszeitung.
Das war auch meine Russischlehrerin: Frau Ruth Wolff an der 48.Grundschule in Leipzig, Könneritzstrasse.
Leider nur für ein Jahr, denn dann wurde Sie mit ein paar weiteren richtig guten Lehrern (Herr Hanemann, Physiklehrer und Herrn Scheps, Sportlehrer) verhaftet.
Das war auch so eine der vielen vergessenen Tragödien in der DDR. Und nicht nur, weil meine von Frau Wolff angelegte Begeisterung für die russische Sprache, sie hat mit uns russische Lieder gesungen, irgendwie keine neue Anreize erhielt.
siehe auch:
http://www.fachportal-paedagog.....tml?Id=520