Frank Gürtler ist frustriert. Der 35-jährige Leipziger ist Altenpflegehelfer und möchte sich zum examinierten Altenpfleger weiterbilden. Die Arbeitsagentur Leipzig, bei der Gürtler derzeit gemeldet ist, verweigert aber die Übernahme der Kosten. Ein Grund dafür sei die laut Agentur nicht zu erwartende Fachkräftenachfrage in diesem Beruf. Pflegeverbände werfen der Behörde mangelnde Kompetenz vor.
Seit 2006 arbeitet Frank Gürtler als Altenpflegehelfer. Zuletzt war er bei der Hauskrankenpflege Susann Julius in Wiederitzsch tätig, absolvierte vor allem Nachtschichten. „Dort war man nach kurzer Zeit zufrieden mit mir. Allerdings sei der Bedarf an Fachkräften höher, weshalb ich als Helfer keine Zukunft hatte“, sagt er. Als er den Entschluss fasste, sich zur Fachkraft weiterbilden zu lassen, bekam Gürtler von dem Unternehmen die Zusage, dort seine praktische Ausbildung durchführen zu können. Auch eine Einstellungszusage wurde ihm ausgestellt, sollte er die Weiterbildung erfolgreich beenden. „Ich war total euphorisch und mir sicher, dass die Arbeitsagentur die Kosten dafür übernehmen wird, da meine Integration ins Berufsleben bereits gesichert ist“, schildert er.
Doch so einfach gestaltete sich die Sache nicht. „Bereits bei meinem Termin bei der Arbeitsagentur sagte mir die Bearbeiterin, dass der Antrag wohl abgelehnt wird, weil der Bedarf an Fachkräften nicht gegeben sei“, berichtet Frank Gürtler. Stattdessen solle der Leipziger weiterhin befristete Arbeitsverträge als Helfer annehmen. Mit Datum des Folgetages erhielt er den Ablehnungsbescheid. In ihm heißt es: „Für ihre angestrebte spätere berufliche Tätigkeit […] wird eine bedeutende Arbeitskräftenachfrage nach erfolgreichem Abschluss der angestrebten Weiterbildung nicht prognostiziert“.
Diese pauschale Aussage verwundert Pflege- und Berufsverbände. Marlis Kawohl vom Kompetenzzentrum für Fachkräftegewinnung beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Berlin etwa sagt: „Wir haben die gegenteilige Information. Der Pflegebereich ist im Moment am Gravierendsten vom Fachkräftemangel betroffen, weil er stark wächst. Wir können in bestimmten Regionen Deutschlands schon nicht mehr pflegen, weil es kein Personal gibt“, sagt sie. Thomas Neumann, Sprecher des Paritätischen in Sachsen spricht vom „Fachkräftemangel im ländlichen Raum, aber auch in den Städten.“ Sigrid Winkler, Sprecherin der Diakonie Sachsen wird deutlicher: „Die Einschätzung der Arbeitsagentur ist grob falsch. Auf uns rollt ein Mangel an Fachkräften zu, der auch vor Leipzig nicht Halt machen wird“, erklärt sie. Ingrid Wagner, Landesbeauftragte des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste in Leipzig ist „entsetzt über die Arbeitsweise der Agentur. Alle wissen, dass wir prognostisch in den nächsten Jahren mindestens 300 000 Fachkräfte im Pflegebereich benötigen werden.“ Und Johanna Knüppel, Pressesprecherin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe lacht direkt laut los, als sie von der Begründung hört.
Susann Julius, Gürtlers letzter Arbeitgeber, hat es inzwischen „satt“, wie sie sagt: „Es werden die falschen Leute unterstützt. In Leipzig gibt es erheblichen Bedarf. Hilfskräfte dürfen wir nach den Bestimmungen der Krankenkassen nur bedingt einsetzen, darum sind ausgebildete und staatlich anerkannte Pfleger dringend nötig“, meint sie. Auch Fatima Guerfa von der privaten Arbeitsvermittlung Tagewerk, die Frank Gürtler an Susann Julius vermittelte, zeigt sich verwundert:„Ich vermute, dass die Sachbearbeiterin keine Kenntnis über die spezielle Situation des Pflegebereiches hat.“
Bei der Arbeitsagentur Leipzig bemüht man sich um Schadensbegrenzung. „Es ist richtig, dass ein Fachkräftemangel im Bereich der Altenpflege besteht, jedoch bezieht sich dieser nicht nur auf examinierte Altenpfleger sondern auch Altenpflegehelfer“, sagt Sprecherin Veronika Zisler. Die gegenteilige Aussage im Ablehnungsbescheid sei falsch und werde korrigiert. Dennoch bleibe die Ablehnung bestehen, da die Agentur laut Gesetzgeber zuerst die Aufgabe habe, Menschen in Arbeit zu vermitteln. Mit seiner Qualifikation eines Altenpflegehelfers, die Frank Gürtler 2007 auch durch die Arbeitsagentur erworben habe, seien dessen berufliche Chancen sehr gut. Aus diesem Grund habe man Gürtler seit Ende Juli acht Arbeitsangebote in diesem Beruf zustellen können.
Frank Gürtler hat Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid eingelegt. Unterdessen läuft ihm die Zeit davon. Bis zum 30. August muss er bei einer Berufsfachschule die Weiterbildung angetreten haben, die bereits begonnen hat.
Erschien am 25. August 2010 in der Leipziger Volkszeitung.
Als direkt involvierter Danke ich Dir auf diesem Weg für deine Recherche und die Arbeit die Du in den Artikel gesteckt hast.
Besten Dank.
Thomas Wagner
Ich hab zu Danken für das Thema.
Es ist in höchstem Maße ärgerlich, was hier zu lesen ist. Wenn man bedenkt, was die Bundesanmtsalt für Arbeit/Jocenter üblicherweise alles finanziert, kann man nur den Kopf schütteln:
Sie zahlt sogenannte Einarbeitungszuschüsse für Firmen, auch Leiharbeitsfirmen, in den ersten drei Monaten, auch bei gezahlten Hungerlöhnen. Danach kommt die Kündigung und das Arbeitsamt zahlt für den nächsten Kandidaten.
Sie bezahlt Menschen dafür, dass sie zu Hause sitzen, statt ihnen eine Beschäftigung zu geben …
Interessant finde ich im Zusammenhang mit dem Mangel an Fachkräften in der Pflege auch diesen Artikel auf pflegen-online.de:
http://pflegen-online.de/nachr.....pflege.htm
Wie kann man als Bundeskanzlerin solche Äußerungen kundtun?
Das ist ganz einfach. Zivildienstleistende werden durch die Aussetzung der Wehrpflicht über kurz oder lang wegfallen und kurzerhand durch Empfänger nach SGB II ersetzt. Simples Austauschen mit zahlenmäßig ungleich höherem Potential. Genauso billig in den Kosten wie im Denken der Entscheidungsträger.
Oder anders gesagt: Heute noch Zivildienstleistender, morgen schon SGB2-Pflegekraft – und das am selben Arbeitsplatz. Toll.