prisma ist laut eigenen Aussagen Deutschlands drittstärkstes Print-Medium. 4,5 Millionen Exemplare liegen nach Verlagsangaben jede Woche „in West und Ost“ diversen Tageszeitungen bei, laut IVW-Zählung vom dritten Quartal 2010 waren es 4,2 Millionen. Der redaktionelle Teil beschränkt sich auf eine Stars- und Sternchenseite, Gewinnspiele, ein wöchentlich wechselndes Titelthema, eine Rubrik namens Lebensart, Rätsel und Horoskope. Dazwischen findet sich das aktuelle Fernsehprogramm der Woche.
Auf der Umschlagseite 2 oder eine danach darf jede Woche Detlef Hartlap, Chefredakteur bei prisma, einen Kommentar abgeben. Zwischen Stars und Sternchen findet sich also der Mann, der Deutschlands drittgrößtes Printmedium redaktionell verantwortet. Hier äußerte er sich kürzlich über Kate Middleton, Kinderwissen, die FDP und Wikileaks oder Bürgerprotest. Im aktuellen Blatt Nr. 2/2011 schreibt Hartlap über Blogger.
In diesem Kommentar, der für meine Begriffe etwa fünf Jahre zu spät kommt, springt Hartlap von der kurzen Definition des Bloggers zur Zukunft der Zeitung, gibt zu, dass er auch Facebook nicht verstanden hat und bringt am Ende einen Satz, der wohl der einzige Grund für seinen Kommentar ist:
Die Blogger aber, statt darüber klagen, arbeiten sich an Zeitungen ab – ihrem Leitmedium, immer noch.
Es mag ja sein, dass man, wenn man seit Anfang der 1990er Chefredakteur eines Beilagen-Werbeblatts ist, ein wenig den Sinn für die Realität und das Leben da draußen verliert. Dass es aber so schlimm wird, hätte ich nicht gedacht.
Detlef Hartlap schreibt unter anderem:
Blogger verfassen Blogs: Aufsätze, Eintragungen, Kommentare, alles. Blogger sind immer schlau. Aber viele von ihnen leiden darunter, dass sie nur für eine Handvoll Gleichgesinnter schreiben, wohingegen Zeitungen über ein großes Publikum verfügen. Deshalb behaupten sie: Wir, die Blogger, stehen für Zukunft; Zeitungen sind von gestern.
Blogger meinen also, sie stünden für die Zukunft, weil Zeitungen über ein großes Publikum verfügen? Mal davon abgesehen, dass die Auflage der Tages- und Publikumszeitschriften seit 2000 stetig sinkt, wüsste ich nicht, wann jemals ein Blogger behauptet hätte, er stünde für die Zukunft, weil er nur „eine Handvoll gleichgesinnter“ Leser am Tag hat.
Vielleicht liegt es daran, dass prisma meint, jede Woche „Special Interest“ zu bieten – etwas, das Blogger ebenfalls leisten: Themen, meist auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten. Wer sich mit 4,2 Millionen Auflage an Bloggern mit angeblich wenigen Lesern abarbeiten muss, hat meiner Meinung nach ein ernsthaftes Problem mit seinem übersteigerten Ego.
Danach folgt ein Satz, der die komplette Ahnungslosigkeit des Detlef Hartlap in Sachen Blogs und Social Media offenbart:
Was Blogger nicht wahrhaben wollen: Das Internet hat sich, via Facebook und Konsorten, zur übelsten Entprivatisierungsmaschine seit den östlichen Geheimdiensten entwickelt.
Was Hartlap nicht weiß: Facebook ist kein Blog. Nutzer von Facebook sind keine Blogger. „Entprivatisiert“ wird zudem nur, wer dies zulässt. Facebook „und Konsorten“ mögen nicht die Unschuld vom Lande sein – trotz allem lässt sich kontrollieren, was dort steht.
Aber offenbar hat Hartlap ohnehin ein Problem mit dem Internet:
Bei Zeitungen bleiben Stuss & Schund auf Reservate beschränkt (Boulevard, Yellow etc.). Im Internet wird Entblößung zum Daseinsgrund. Alles scheint gleich verfügbar, das Schöne wie das Schlimme. Die Freiheit des Internets hebt sich selbst auf, weil sie keiner Einschränkung unterliegt.
Vielleicht sollte jemand den Chefredakteur von prisma aufklären, dass auch Stuss & Schund seines Hauses bereits im Internet stehen – auch prisma verfügt über eine Website. Und Hartlaps Kommentar steht dort auch, den man sogar kommentieren kann! Wie in einem Blog!!!1elf
Danach folgt – komplett aus dem Zusammenhang gerissen:
So wird das Internet zum Symbol für das unbesiegbare Nichtbescheidwissen der Masse. Die Blogger aber, statt darüber klagen, arbeiten sich an Zeitungen ab – ihrem Leitmedium, immer noch.
Mal davon abgesehen, dass nach „darüber“ ein „zu“ fehlt, ergibt der Absatz überhaupt keinen Sinn. Erst schreibt Hartlap über die Entblößung der Blogger, um gleich im Anschluss anzuprangern, die Masse wisse nicht Bescheid. Was soll das sein? Unterschwellige Kritik an gemeinschaftlich geführten Wissensplattformen?
Insgesamt bleibt es mir ein Rätsel, was Hartlap bewogen hat, diesen Text zu verfassen. Wenn man das Medium Blog so überhaupt nicht verstanden hat, sollte man vielleicht lieber bei Reiseführern oder dem Fernsehprogramm bleiben.
Vielleicht wollte er Aufsehen erregen, endlich jemanden interessieren für seine Kommentare. Unter seinen wöchentlichen Kolumnen steht flehend der Satz: „Ihre Meinung ist gefragt. Leserbriefe an www.prisma.de/leser“. Eine Rubrik, in der diese Leserbriefe veröffentlicht werden, scheint im gedruckten Heft nicht zu existieren. Auch online finde ich keinen Hinweis auf veröffentlichte Leserbriefe.
Das ist schade, denn gäbe es Leserbriefe, könnte Hartlap mal jemand erklären, dass „Mutter Beimer“ wohl für die meisten Deutschen keine deutsche Königin ist. Oder dass bereits sein Kind mehr weiß als er selbst – und er sich mal wieder mit ihm beschäftigen sollte.
Auch die Titelthemen bei prisma verdienen durchaus Zuschriften auf deren hochwertigen Inhalt. Hier, Heft 48/2010 beispielsweise.
Erkennen Sie es? Zwei magere Topmodels füttern sich mit etwas, das laut Titeltext „feines Gebäck“ sein soll. Darunter steht: Alle Jahre wieder: prisma verlost 100 Kisten Naschwerk aus dem Hause Lambertz, Aachen.“
Auf den Seiten 4 und 5 erzählt uns dann unter der Überschrift „Wetterhoch für edles Naschwerk“ ein Autor namens J.B. etwas über das „Printenwetter“:
Davon spricht kein Meteorologe, dabei ist es für Lebkuchenhersteller von größter Bedeutung: Das Printenwetter entscheidet über ihr Wohl und Wehe.
Uns wird erklärt, dass man von Printenwetter spreche, wenn Ende August, Anfang September die Temperaturen unter 22 Grad sinken. Das wäre laut Lambertz-Chef Hermann Bühlbecker die „Initialzündung“ für Konsumenten, zu Herbst- und Weihnachtsgebäck zu greifen. Schön, dass uns jemand mal auf diese Weise den Irrsinn erklärt, warum bereits Anfang September Lebkuchen in den Supermärkten schwitzen.
Einen Satz später verklärt J.B. dieses Tun als „schön, wenn es in diesen unruhigen Zeiten noch Verlässliches gibt“ und bringt diese Verlässlichkeit mit Zahlen des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie in Verbindung, wonach jeder Deutsche 1,15 Kilo Lebkuchen im Jahr isst. Tendenz – wie überraschend – zum Winter hin steigend, J.B. berichtet von „glänzenden Geschäften“ nach einem „durchwachsenen Herbst“. Die PR-Abteilung von Lambertz dürfte gefeiert haben über diese Form der Werbung.
Werbung, die sich neben dem Artikel fortsetzt. „100 leckere Truhen“ gebe es zu gewinnen. „edles Weihnachtsgebäck“ befinde sich in der schwarzen Holztruhe, in der „1800 Gramm köstlicher Leckereien auf den Genießer“ warten würden. Bis 10. Dezember solle man eine Frage beantworten, um mit etwas Glück „eine edle süße Truhe“ gewinnen zu können. Auch wenn dies eine Verlosung ist, kann ich hier das Trennungsgebot von redaktionellem Inhalt und Werbung nicht erkennen. Es wäre nicht das erste Mal, dass prisma wegen Schleichwerbung am Pranger steht.
Link: Thomas Knüwer hat Hartlaps merkwürdige Äußerungen auch entdeckt.
Recht hat er, der Herr Hartlap. Man sollte die „prisma“ aber in der Tat nicht überbewerten, handelt es sich doch um eine kostenlose Beilage. TV-Zeitschriften werden in der Regel auch selten in Pressespiegeln erwähnt 😉
Wie?: „Recht hat er, der Herr Hartlap.“
Timo, wie meinst du das? Wenn das Ironie sein soll, wird diese mir nicht so richtig deutlich.
Da steht so viel verkürztes, verabsolutiertes und falsches in dem Beitrag von Herrn Hartlap (…Blogger arbeiten sich an Zeitungen ab… im Internet wird Entblößung zum Daseinsgrund … |es gibt ein| „unbesiegtes Nichtbescheidwissen des Masse“…)
Der Beitrag von Herrn Hartlap kann meines Erachtens nur dazu dienen, sich darüber zu ärgern, dass er seine Leser für so dumm hält, wie er durch den dummen Inhalt seines Beitrags zum Ausdruck gibt. Er spricht ja auch ganz dreist von dem „Nichtbescheidwissen“ der Masse….