Nachfolgender Text erschien in „WERTE“ – Kundenmagazin der Sachsen Bank Nr. 3/2011
Der Ausstieg aus der Atomenergie stellt Politik, Energieversorger und -erzeuger vor große Herausforderungen. Kommunale Stadtwerke in Mitteldeutschland nutzen den Wandel als Chance und investieren kräftig.
Im Frühjahr hielt die Welt den Atem an. Auf das Erdbeben in Japan folgte ein Tsunami, der die größte atomare Katastrophe seit Tschernobyl auslöste – und einen Bewusstseinswandel der deutschen Bundesregierung bewirkte. Der Ausstieg aus der Kernkraft bis 2022 wurde verkündet. Die abrupte politische Kehrtwende stellt nicht nur die privatwirtschaftlichen Energieversorger vor Herausforderungen, sondern verlangt auch von den kommunalen Stadtwerken ein Umdenken. Doch die öffentlichen Anbieter sind gut vorbereitet. Seit Jahren bereits verfolgen sie mit der Errichtung von Windparks, Solar- und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen einen zielstrebigen Weg in Richtung ökologische Energieerzeugung.Doch nicht nur bei der Energieproduktion vollzieht sich derzeit ein Strukturwandel. Auch im Bereich der Netze kündigen sich Änderungen an. Bis Ende 2012 läuft rund ein Drittel der Konzessionsverträge deutscher Städte für Strom und Gas aus. Bis 2016 enden nahezu alle bisherigen Verträge mit Energieunternehmen. Diese zahlen nach Konzessionsvertrag den Gemeinden ein Entgelt, um die öffentlichen Versorgungswege zu nutzen. Angesichts der energiepolitischen Herausforderungen und des gewachsenen Umweltbewusstseins der Bürger prüfen nun jedoch immer mehr Kommunen, ob sie zukünftig ihre Netze wieder selbst betreiben. Dies würde den Weg frei machen für Investitionen in umweltfreundliche Erzeugungsformen wie Kraft-Wärme-Kopplung. Aber nicht zuletzt verspricht der Energiemarkt den Stadtwerken auch solide Gewinne. Der erhoffte Geldsegen könnte die klammen kommunalen Kassen entlasten und verstärkt in öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Bäder fließen.
Dezentrale Energieversorgung
Der Markt ist im Umbruch. Bislang betreiben vor allem die „großen Vier“, also E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW, gigantische Kraftwerke, die Strom für das gesamte Land produzieren. Die Zukunft sieht anders aus: „Die Lösung heißt dezentrale, erneuerbare Energieversorgung“, erklärt Stephan Weil, Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Künftig würden es vor allem mittlere und kleine Anlagen vieler Stadtwerke sein, die den Bedarf direkt vor Ort decken und in die Verteilnetze einspeisen. Seit 2007 seien bereits rund 40 neue Stadt- und Gemeindewerke gegründet worden. Der verbrauchernahen Erzeugung in den Städten rechnet Weil eine Schlüsselrolle zu, mit der Deutschland sein Energiesystem festigen könne.
Nicht nur in Neugründungen liegt für Städte und Gemeinden die Zukunft, sondern auch in der Rekommunalisierung. Der Rückkauf privaten Vermögens, das ursprünglich in öffentlicher Hand war, ist auch in Ostdeutschland ein Trend. Strategisches Vorbild für viele kommunale Umdenker ist dabei die Thüga AG, der größte Verbund kommunaler Energie- und Wasserversorger in Deutschland. Die Thüga begann als Thüringer Gasgesellschaft, gehörte später zu E.ON und ist heute ein bundesweiter Zusammenschluss von 90 Stadtwerken, davon 25 aus Mitteldeutschland. „Wir sind eine wettbewerbsfähige Gruppe“, bringt es Bernd Rudolph, stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes, auf den Punkt: „Der große Vorteil einer Partnerschaft mit der Thüga ist, dass die Unternehmen eigenständig bleiben, gleichzeitig aber Mitglied unseres Verbundes sind.“ Für das operative Geschäft vor Ort seien die städtischen Energieversorger verantwortlich. „Sie sind nah am Kunden und wissen, was diese wünschen“, so Rudolph: „Wenn es aber darum geht, Größenvorteile wie beim gemeinsamen Energie- und Materialeinkauf zu generieren, dann gehen wir gemeinsam am Markt vor.“ Über diese Kombination könne eine effiziente und wirtschaftliche Energieversorgung garantiert werden.
Kooperationen nutzen
Denn der Wettbewerb im Energiemarkt ist hart. Kooperationen sind das Gebot der Stunde.
Die Herausforderungen, die sich durch den Strukturwandel ergeben, sind nur gemeinsam zu bewältigen, lautet denn auch das Fazit der jährlichen Expertenbefragung bei Energieversorgern durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young und des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). In ihrer „Stadtwerkestudie 2011“ werden die größten Probleme sichtbar: Vor allem der Bevölkerungsrückgang in ländlichen Gebieten, aber auch in großen Städten in Ostdeutschland führe zu einer Reduzierung des Gesamtenergieverbrauches. Zusätzlich stagniert der Gesamtmarkt ohnehin seit Jahren durch ambitionierte Energieeinsparziele. Kostendruck und zunehmender Wettbewerb würde den Aufbau und die Entwicklung neuer Geschäftsfelder geradezu forcieren. Um die sich bietenden Chancen zu nutzen und die erforderlichen Investitionen zu stemmen, müssten Stadtwerke verstärkt den Weg der Kooperation suchen. Einzelne kommunale Energieversorgungsunternehmen seien in Zukunft immer weniger in der Lage, die Risiken alleine zu tragen, heißt es in der Studie. Rund 75 Prozent der befragten Unternehmen sehen eine Kooperationsstrategie als die erfolgversprechendste Option, um im Wettbewerb bestehen zu können.
So auch die Chemnitzer Eins Energie in Sachsen, die im vergangenen Jahr durch die Fusion von Erdgas Südsachsen und der Stadtwerke Chemnitz entstand. Die kommunalen Eigentümer beider Unternehmen sehen in dem Zusammenschluss klare Vorteile, etwa die langfristige Stärkung und Sicherung der Markt- und Wettbewerbsfähigkeit oder die Erhöhung der Wertschöpfung für die Region. Die Mehrheit am Unternehmen halten Kommunen in Südsachsen. Minderheitsbeteiligt ist mit 39,9 Prozent die Thüga AG. Der Rest gehört der RWE-Tochter enviaM.
Chancen durch Rekommunalisierung
Ebenso setzt die sächsische Landeshauptstadt Dresden auf den Verbund. Im Jahr 2009 leitete sie den Rückkauf ihrer Stadtwerke DREWAG ein. Heute gehört das Stadtwerk dem Energieverbund Dresden an, zu dem regionale und kommunale Strom- und Gasversorger sowie Netzbetreiber gehören. Die Thüga ist mit zehn Prozent beteiligt. Seit Juli verfügt die DREWAG über drei Windparks in Sachsen und Sachsen-Anhalt. „Auf diese Weise können 30.000 Haushalte mit umweltfreundlichem Strom versorgt werden. Auch weiterhin werden wir rund 20 Millionen Euro jährlich in erneuerbare Energien investieren“, kündigt DREWAG-Geschäftsführer Reiner Zieschank an.
Wachstum durch Erneuerbare Energien
In den Erneuerbaren Energien sehen die Kommunen die größten Wachstumschancen. Eins Energie etwa will innerhalb der nächsten zehn Jahre 200 Millionen Euro dafür ausgeben. Laut Reiner Gebhardt, Vorsitzender der Eins-Energie-Geschäftsführung, gehören bereits jetzt Windkraftanlagen und neun Photovoltaik-Anlagen zum Erzeugungsportfolio des Versorgers. „Wichtig ist hier, größtmögliche Energieeffizienz zu erreichen. Darum soll der Ausbau von Kraft-Wärme-Kopplung vor allem durch Blockheizkraftwerke vorangetrieben werden“, so Gebhardt.
Klimaschutz ist ein wichtiges Argument für die Gemeinden. Bereits jetzt ist der Strom aus kommunaler Erzeugung laut VKU besonders klimafreundlich: Rund zwei Drittel stammen aus Kraft-Wärme-Kopplung. „Die hier anfallende Wärme wird in Nah- und Fernwärmenetze eingespeist und auf diese Weise energetisch genutzt. Das spart gegenüber anderen Heizsystemen erhebliche Mengen an CO2 ein“, bekräftigt VKU-Präsident Stephan Weil die Rolle der Stadtwerke. Zusätzlich würden Stadtwerke, die selbst Strom erzeugen, unabhängiger von Stromlieferungen sowie Bezugspreisvorgaben privatwirtschaftlicher Vorlieferanten.
Ambitioniert zeigt sich der Freistaat Thüringen in Sachen Umweltschutz.. Die Landesregierung brachte unlängst das „Energiekonzept Thüringen 2020“ auf den Weg. Bereits im Koalitionsvertrag ist bis zu diesem Zeitpunkt ein Anteil von 35 Prozent erneuerbaren Stroms am Gesamtverbrauch festgeschrieben. „Für die sichere Energieversorgung ist die Kernenergie mittelfristig verzichtbar“, erklärt Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht: „Die Zukunft besteht aus einem Dreiklang: Ausbau der erneuerbaren Energien, Investitionen in mehr Effizienz und Energieeinsparung.“ .
Bürger am Wandel beteiligen
Dabei werden auch neue Wege der Finanzierung eingeschlagen, etwa in der Landeshauptstadt Erfurt. Die Kommune errichtet derzeit ein Bürgerkraftwerk. Ein Investitionsmodell ermöglicht die Beteiligung der Einwohner an der Anlage. Bauherr und Betreiber ist die Thüringer Umwelttechnik, ein Tochterunternehmen der Stadtwerke Erfurt. Bei der Sparkasse Mittelthüringen partizipieren die Bürger über das „Erfurter Zuwachssparen UmweltPlus Solar“ am Erfolg der Solaranlage. „Mit diesem Modell wollen wir den Erfurtern die Möglichkeit geben, sich aktiv an der Investition in Erneuerbare Energien zu beteiligen“, sagt Peter Zaiß, Geschäftsführer der Stadtwerke Erfurt.
Erzeugung in der eigenen Gemeinde ist laut Thomas Rieger, Leiter der Abteilung Kommunale Unternehmen bei der Sachsen Bank, aber nur eine mögliche Option für die Kommunen. „Vor allem im städtischen Bereich sind die Erneuerbaren Energien eine Frage der Akzeptanz, des politischen Willens und des vorhandenen Know-Hows“, bemerkt Rieger: „Im innerstädtischen Bereich gibt es nur begrenzte Möglichkeiten, etwa Windräder aufzustellen oder Photovoltaik-Anlagen zu errichten. Trotz der Bekenntnis zu grüner Energie wollen nur die wenigsten Menschen ein Windrad vor der eigenen Haustür haben.“ Genauso gut wie die Eigenerzeugung vor Ort könnte es daher sinnvoll für Kommunen sein, sich an Offshore-Windparks zu beteiligen. So könnten die Stadtwerke auf dem Markt der Ökostrom-Anbieter mitspielen, würden aber gleichzeitig bei der Diskussion um den Ort der Erzeugung außen vor bleiben.
Wofür sich die Gemeinden in den nächsten Jahren auch entscheiden, eines ist sicher: Schon jetzt gestalten die Stadtwerke den Strukturwandel in der Energiebranche nachhaltig mit und übernehmen dabei aktiv Verantwortung für die Region. Laut VKU-Präsident Stephan Weil bauen die kommunalen Betreiber bundesweit derzeit für knapp sieben Milliarden Euro neue Erzeugungskapazitäten, wovon ein Drittel auf den Ausbau der erneuerbaren Energien entfällt. Insgesamt sollen Kapazitäten mit einer Leistung von 3272 Megawatt entstehen – fast so viel, wie drei Atomkraftwerke leisten. In den kommenden Jahren könnten nochmals mindestens sechs Milliarden Euro zusätzlich aufgewendet werden, um weitere effizientere Kraftwerke zu errichten. „Der Umbau kann zum Wirtschaftsmotor werden und ebnet den Weg für neue Forschungszweige“, erklärt Weil: „Bereits heute arbeiten mehr als 370.000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien bei Anlagenherstellern, Betreibern, Projektierern und Zulieferbetrieben.“ Bis 2020 prognostiziert er einen Anstieg auf mehr als eine halbe Million Beschäftigte. So wird die kommunale Energiewende zum wirtschaftlichen Turbo.
Das Image vom verstaubten, rückschrittlichen Stadtwerk – es war einmal.