Sie beschmieren Wände, Telefonzellen, Haltestellen, ja sogar Züge und Autos. Graffitisprayer sind wegen der Schäden, die sie anrichten, nicht beliebt. Und doch gibt es etwa eine Hand voll Jungs in der Stadt, die sich mit der Kunst aus der Dose selbstständig gemacht hat. Uwe Arnold aus Holzhausen ist einer von ihnen. Mit Auftragsarbeiten verdient er sein Geld. Und muss dabei auch so manches „Kunstwerk“ seiner illegalen Kumpels übermalen.
Ein Atelier in Holzhausen. Auf einem kleinen Holztisch steht ein Becher voller Pinsel. In einem Regal aus Pappkartons liegen Farbdosen. Der graue Steinfußboden ist übersät von Zeichnungen und Skizzen. Teils zerknüllt, teils wieder glatt gezogen. Im flackernden Neonlicht steht Uwe Arnold. Vorsichtig tupft er Farbe an eine Leinwand, die auf einer Staffelei vor ihm steht.
„Das Chaos hat System“, grinst der junge Mann mit dem Schnauzbart, während er weiter an einer mystischen Dame malt. „Das Bild ist nur für mich – zum Üben und Weiterentwickeln“, erklärt Uwe, der mit Bleistift und Farbe ebenso gut umgehen kann wie mit der Spraydose. „Die Dose ist nur ein Mittel von vielen. Beruflich sehe ich mich eher als Fassadengestalter“, relativiert er. Die Bescheidenheit wirkt glaubhaft, wenngleich Arnold bereits einige Kunstwerke in Leipzig gesprayt hat. Das Graffiti an der Bereitschaftspolizei in der Essener Straße beispielsweise oder den Bachkopf an der Thomasschule. Ebenso entstanden zahlreiche Gemälde im Auftrag der Wasserwerke, wie am Klärwerk Rosental oder der Schieberstation Liebertwolkwitz. Und auch an der Gestaltung des Jugend-Kulturzentrums Conne Island in Connewitz hat er mitgewirkt.
Jugendclubs waren Uwes erste Auftraggeber. Nach seiner wilden Zeit als illegaler Sprayer. „Natürlich habe ich auch so angefangen. Aber nur an alten Abrisshäusern, in denen schon lange kein Leben mehr war“, sagt er. Irgendwann fasste er den Entschluss, mehr aus seinem Hang zur Farbdose zu machen, nahm erste Aufträge von Nachbarn an, sprayte für Vereine. Sein Stil sprach sich schnell rum. Mundpropaganda, von der er auch heute noch lebt.
Eine Ausbildung hat Uwe auch nicht. „Ursprünglich wollte ich Kunstbildhauer lernen. Die wenigen Ausbildungsplätze waren seinerzeit aber alle weg. Es gibt nicht mehr viele Firmen, die den angestaubten Beruf lehren“, bedauert der Künstler, der mit 13 Jahren seine Kreativi-tät entdeckte. „Fußball fand ich schon immer doof. Meine Leidenschaft gehörte dem HipHop und den Graffiti.“
Jetzt kann der Holzhausener vom Sprühen leben. „Ich werde immer dann gerufen, wenn nach Sanierungsarbeiten an Wänden Schmierereien von vornherein vermieden werden sollen“, erklärt Arnold. In der Sprayerszene gilt ein Gesetz, dass einmal gestaltete Mauern nicht mehr übersprüht werden dürfen. Ein Gesetz, dass der Freischaffende aber manchmal brechen muss. Dann, wenn Auftraggeber wilde Graffiti übertüncht haben wollen.
„Klar ist das ein komisches Gefühl. Vor allem weil ich ja auch mal auf dieser Seite stand.“ Völlig gelöst von der Szene hat sich Uwe Arnold aber nicht. „Ich kaufe beispielsweise meine Dosen nicht im Großhandel, sondern in einem speziellen Laden im Werk II. Der wird von Sprayern geleitet. Mit denen kann ich über alte Zeiten quatschen und Erfahrungen austauschen.“
Zum lockeren Plausch hat Uwe vor allem in den Wintermonaten Zeit. „Derzeit gibt es keine Aufträge, klar bei der Kälte“, sagt der Sprayer, der darum im Frühling und Sommer so viel verdienen muss, dass er übers ganze Jahr kommt. Mal funktioniere das, mal weniger. Im Durchschnitt zwei Wochen pro Monat arbeitet Arnold, bekommt nach eigenen Aussagen so viel Geld, dass es gut zum Leben reicht. „Klar könnte es mehr sein. Aber dann müsste ich auch mehr arbeiten und hätte weniger Zeit für meine privaten Malereien“, sagt er – und wendet sich wieder seiner Leinwand-Lady mit dem geheimnisvollen Blick zu.
Erschienen am 27.01.2006 in der Leipziger Volkszeitung.