Gibt es Computerprogramme, die ich wirklich liebe? Diese Frage stelle ich mir gerade, während ich mir die neueste Pressemitteilung von Quark durchlese. Das Unternehmen startete soeben eine Kampagne, die Usern dazu verhelfen soll, die eventuell eingerostete Liebe zu QuarkXPress neu aufflammen zu lassen.
Programme, die ich liebe – je länger ich darüber nachdenke, desto weniger Beispiele fallen mir ein. Das neue Winamp 5.5 gehört mit Sicherheit nicht dazu, nach den Bugs, die ich bereits nach zwei Tagen Benutzung feststellte. Dazu vielleicht später mehr. Auf dem Amiga gab es Programme, die ich wirklich liebte. Term, das ultimative Terminalprogramm etwa. Eine Gattung von Software, die man heutzutage gar nicht mehr benötigt. Oder MUI, ein Programm, mit dem man die komplette Oberfläche, die Workbench, des Amiga optisch und haptisch verändern konnte. Toolmanager gehört ebenso dazu. Oder CNet BBS – ein wundervolles Programm zum Betrieb einer eigenen Mailbox. Schon alleine die Erklärung, was eine Mailbox damals war, würde heute zu weit führen. Aber damals – damals hat man diese Programme geliebt.
Und heute? Heute versucht eine Firma wie Quark einem Quasi-Standard neues Leben einzuhauen, indem es emotionalisiert wird. „Verlieben Sie sich in QuarkXPress“, steht auf der zur Kampagne gehörenden MicroSite. Liebe Quarkser – macht Euch bitte nichts vor. Wer Quark nutzt, tut das vor allem, weil er es muss. In der Zeitungsredaktion, in der Agentur, im Journalistenbüro. Weil es eben der Standard ist und Zulieferer oder Kunden ebenso damit arbeiten. Lieben wird Quark niemand. Ich kenne jedenfalls keinen Layouter, der das tut, auch wenn er Shortcuts verinnerlicht hat und im Schlaf runterbeten kann.
Aber was will man tun, wenn diejenigen Anwender, die es können, zu Adobe rennen? Weil dort die Möglichkeiten seit Jahren besser sind, InDesign keine so schwerfällige alte Dame wie QuarkXPress ist. Da bietet man halt einfach an, InDesign-Dateien auch laden zu können. Kompatibilität – welch Fortschritt! Ob der Ausflug mit InDesign nur ein „One-Night-Stand“ war, bezweifle ich allerdings. Ein charmanter Versuch, Boden gut zu machen. Funktioniert nur nicht.
Und dass sich QuarkXPress und Photoshop so gut verstehen, dass sie nahezu unzertrennlich sind, klingt auch erstmal schön. Was hier außer Acht gelassen wird, ist aber, dass ein Third-Party-Produkt wohl eher nicht so gut mit einem Produkt des Konkurrenten zusammenspielt. Adobe Photoshop und Indesign sind Bestandteile der Creative Suite. Was könnte besser passen?
Nicht falsch verstehen – ich möchte hier Adobe nicht in den Himmel heben. Auch da ist nicht alles Gold. Dass sie Macromedia gekauft haben, nehme ich ihnen heute noch übel. Aber die plötzliche Emotionalisierung eines Standards, den Quark selbst geradezu trotzig auf der eigenen Website ausruft („QuarkXPress® wird von mehr Menschen für kreatives Design und Seitenlayout eingesetzt, als jede andere Software dieser Welt. Punkt.“), geht mir etwas zu weit. Wer soll damit angesprochen werden? Die, die zu anderen Programmen wechselten, werden dies nicht ohne Grund getan haben. Und die, die Quark noch nie kannten, können keine alte Liebe wiederentdecken.
Punkt.
Nachtrag: Um QuarkXPress zu lieben, müsste man natürlich auch etwas von Layout verstehen. Die Pressesprecherin tut das augenscheinlich nicht. Sowas nennt man Hurenkind und es sieht sehr unschön aus…
„Eine Gattung von Software, die man heutzutage gar nicht mehr benötigt.“ – Terminalprogramme haben natürlich nicht mehr die Massenbedeutung der BBS-Zeit. Sie werden jedoch nach wie vor eingesetzt – Stichwort Administrierung (und da reicht schon ein grottiges Hyperterminal, wenn kein richtiges OS zur Hand ist).
Ja, ich weiss, dass man Terminalprogramme noch benötigt. Ich meinte damit, dass der eigentliche Einsatzzweck nichtig ist. Die Zeit der BBS ist vorbei. Und ins Netz geht man heute halt anders.