Taucha. Es war ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Sieben Schülerinnen der Tauchaer Mittelschule waren über ein Wochenende die „Mütter“ von Babysimulatoren. Lebensgroße, an Puppen erinnernde Hightech-Wunder, die zum einen so schwer wie ein echtes Baby sind und sich zum anderen auch genau so verhalten. Inklusive Schreien, Lachen, Atemgeräuschen beim Schlafen und einem Köpfchen, das immer gehalten werden will. Und einem internen Speicher, der genau aufzeichnet, wie sich die jungen Mütter auf Zeit um ihr Kind kümmern. „Elternbedenkzeit“ heißt das Projekt, das an mehreren Schulen stattfindet und das pädagogische Ziel verfolgt, heranwachsenden Mädchen die Verantwortung für die Mutterrolle näher zu bringen. Jetzt wurden die Daten ausgewertet.
Martina Fritzsche und Melanie Burkhardt vom Kreisverband Nordsachsen der Arbeiterwohlfahrt (Awo) waren größtenteils zufrieden: „Die Ergebnisse sind im üblichen Rahmen für dieses Projekt“, so Fritzsche. Nahezu alle Schülerinnen erreichten 92 Prozent oder mehr. Nahezu perfekt waren Vivian und Clarissa mit 99 Prozent. „Mist, eigentlich wären 100 Prozent drin gewesen, aber beim Weitergeben meines Sebastians an eine Bekannte haben wir einmal die Kopfstütze vergessen“, sagte Vivian, die sich rührend um „ihren“ Sohn kümmerte. Bei Clarissa kam zur Kopfstütze ein vergessenes Füttern hinzu. „Der Computer im Simulator zeichnet gnadenlos alle Verstöße auf. Und wenn das Baby registriert, dass auf sein Schreien nicht die Flasche an den Mund geführt wurde, gibt das einen Minuspunkt. Insgesamt ist das aber nicht schlimm“, sagte Melanie Burkhardt.
Wirklich schlimm erging es allerdings einem Kind. Wäre es ein richtiges Baby gewesen, wäre es jetzt entweder behindert oder tot. Diagnose: Schütteltrauma. Ein Schock für die junge Mutter, die hier nicht erwähnt werden soll. „Ich habe mein Kind an einen Bekannten gegeben, weil ich weg musste“, so die Schülerin. Offenbar war sich der Bekannte der Ernsthaftigkeit des Experimentes nicht bewusst und wollte den schreienden Simulator durch Schütteln zur Ruhe bringen. Mit Erfolg – das „Baby“ stellte sich tot und reagierte für mehrere Stunden gar nicht mehr. Wie ein echter Säugling, der eine solche Folter durchmachen muss. Immerhin wählte die Schülerin die Notfallnummern, quasi die technische Hotline für die Simulatoren und vertraute sich am Montag der Schulsozialarbeiterin Ulrike Denkiger an, die das Projekt begleitete. „Wichtig ist, dass du dir jetzt im Klaren darüber bist, dass ein Neugeborenes nicht Bekannten anvertraut werden darf“, mahnte Martina Fritzsche und erntete heftiges Kopfnicken der noch immer kreideweißen Probemutter.
Trotz oder gerade wegen dieses Vorfalls und nur wenigen Stunden Schlaf bezeichneten die sieben Schülerinnen das Projekt als durchweg gelungen und sehr schön. „Wir hatten am Montag, als wir die Babys wieder abgeben mussten, schon Entzugserscheinungen. Und im Unterbewusstsein hörte man immer ein leises Schreien. Bei manchen ging es sogar so weit, dass sie Nachts das leise Atmen neben sich vermissten“, beschrieb Svenja die Gefühle. Negative Auswirkungen auf die Kinderwünsche, die fast alle mit „zwei bis drei“ angaben, hatte das Wochenende als Mütter auf Zeit kaum. Spätestens mit 25 Jahren soll bei den Mädchen, Ausbildung und Arbeit vorausgesetzt, die Familienplanung abgeschlossen sein.
Erschien am 5. Oktober 2009 in der Leipziger Volkszeitung.
Ein Gedanke zu „Baby-Simulator „stirbt“ durch Schütteln“
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