Den halben Tag durch den Tagebau

Zur traditionellen Herbstwanderung startete am Sonntag Zwenkaus Bürgermeister Herbert Ehme mit rund 3500 Interessenten durch den Tagebau. Es war die letzte Chance, trockenen Fußes durch den künftigen See zu gelangen.

„Der eine wartet, bis die Zeit sich wandelt, der andere packt an und handelt.“ Mit dem Zitat des italienischen Dichters Dante Alighieri beschrieb Zwenkaus Bürgermeister Herbert Ehme am Sonntagmorgen wohl genau das, wofür ihn die Einwohner der Stadt lieben. „Er setzt sich ein, ist ein wirklich guter Bürgermeister“, war oft aus den Reihen der etwa 3500 Wandersleut‘ zu hören, die auf Schusters Rappen zum letzten Mal durch den Tagebau zogen. Es war ein Anblick, der selbst Ehme beeindruckte: der Bürgermeister-Ahnert-Platz brechend voll, sämtliche Parkplätze und zahlreiche Fußwege Zwenkaus ebenso. „Es ist beeindruckend und ich freue mich, dass so viele Leute an diesem historischen Ereignis teilhaben wollen“, sagte Ehme vorm Anmarsch in Richtung Tagebau. Selbiger dauerte etwa 20 Minuten und führte alle Generationen von jung bis alt mit Wander- oder Walkingstöcken, rucksackbepackt oder mit Hund erst einmal zum Pavillon der Bergbaugeschichte.

„Vor zwölfeinhalb Jahren standen wir hier an der Abbaugrube und demonstrierten bei strömendem Regen dafür, dass unsere Stadt erhalten bleibt. Vieles war unklar, keiner wusste so recht, wie es weitergeht. Heute stehen wir wieder hier und die Sonne scheint. Was könnte es für einen besseren Preis geben?“, sinnierte Ehme. Und er hatte noch eine Überraschung. Wie zur Premiere eines neuen Automodells wurde am Südgiebel des Pavillons feierlich ein Logo enthüllt, das Zeitzeuge und Zukunftsweiser zugleich sein soll. Unter dem Namen „Kap Zwenkau“ will künftig die Sächsische Seebad Zwenkau GmbH den entstehenden Hafen samt See vermarkten. Das Zeichen, das ein Segelschiff auf blauem Wasser zeige, soll aber auch Marke für die gesamte Region werden.

Für Rudolf Espenhain ein bewegender Moment. „Wir werden jetzt entschädigt für viele Jahre Staub und Dreck“, so der 60-Jährige, der bis zur Zwangsumsiedlung in Eythra wohnte. Das Dorf fiel in den 80er Jahren der Braunkohle zum Opfer. „Seitdem wohne ich in Leipzig, bin Zwenkau und der Region aber immer verbunden geblieben. Es ist schön, dass ich noch erleben darf, wie sich alles zum Positiven verändert“, schwärmte er. Nur wenige Schritte daneben liefen Grit Teichgräber (14) aus Zeitz und Bernhard Fischler (13) aus Glauchau. Die beiden Schüler lauschten gebannt und erfuhren so ganz nebenbei ein wenig Geschichte. Etwa zehn Kilometer betrug der Marsch durch den Tagebau, der ab zweitem Quartal 2006 geflutet werden soll. „Dazu wird Fremdwasser aus den Tagebauen Profen und Schleenhain verwendet, wie damals beim Cospudener See“, erklärte Bauamtsleiter Siegfried Hahn. Bis Ende 2012, abhängig von Niederschlagsmengen und Sommertemperaturen, soll die Flutung dauern. Unbedingt im Zwenkauer See baden will dann Julia Horn. Die Fünfjährige nahm mit Mama und Schwester bereits zum zweiten Mal an der Herbstwanderung teil. „Es ist ein bisschen anstrengend, aber trotzdem spannend“, sagte sie bei einer kurzen Verschnaufpause. Ebenfalls eine Auszeit auf halber Strecke gönnten sich die Familien Troitzsch aus Zwenkau und Kalusa aus Leipzig. „Wir trinken jetzt erstmal einen Bad Dübener Moorkräuter“, verkündete Holger Troitzsch, der sogar an kleine Gläser gedacht hatte. Seine Frau verteilte ausgleichend Vitamine in Form von Äpfeln und Bananen.

Bei der ersten Wanderung durch den Tagebau im Jahr 1999 kamen etwa 20 Mann. Diesmal war das Ende der bunten Menschenkette, die sich durch Sand und Staub zog, nicht auszumachen. Der Lohn wartete in Form von Speisen aus der DRK-Gulaschkanone und Getränken zu niedrigen Preisen, Gratis-Glühwein von Bürgermeister und einer guten Nachricht von ihm an alle, die wild auf Fußwegen parkten: „Heute verteilen wir keine Knöllchen!“

Artikel erschien am 18.10. in der Leipziger Volkszeitung