Sinkende Auflagen, eingedampfte Lokalteile, zentralisierte Mantelteile, immer weniger freie Mitarbeiter aufgrund ständig sinkender Honorare. Es gibt viele Probleme, die Tageszeitungen umtreiben. Das wohl größte Problem allerdings scheint der Vertrieb zu sein. Zumindest ließ sich gestern eine Mitarbeiterin der Leipziger Volkszeitung zu der Aussage hinreißen: „Ich weiß auch nicht, wie das weitergehen soll!“.
Was war passiert? Ich hatte angerufen, weil wie am Donnerstag auch meine LVZ und BILD erst gegen halb 9 geliefert wurden. Eine Uhrzeit, zu der ich erstens keine Zeit mehr habe, Zeitung zu lesen und zweitens das Wichtigste bereits im Netz aufpoppte. Ich gehöre trotz sozialen Netzwerken und always-on noch zu denen, die gern beim Frühstück eine Zeitung rascheln hören wollen – und das am Besten um 7 Uhr.
Als ich dann gestern sah, WIE derzeit meine Zeitungen ausgeliefert wurden, bin ich schon einigermaßen erschrocken. Ein ungepflegter Mann stand mit den Zeitungen in der Hand in gekrümmter Haltung vor unserer Briefkastenanlage und suchte krampfhaft nach unserem Namen. Ich wies ihn dann darauf hin, wo unser Briefkasten hängt und fragte, warum er denn so spät käme. „Es tut mir leid, aber ich bin seit 3 Uhr unterwegs, das hier ist meine vierte Tour“, sagte er. Armer Mann, dachte ich mir. Als ich dann sah, womit er unterwegs war, blieb mir abermals der Mund offen stehen. Der Mann, der eine orange Warnweste trug, fuhr allen Ernstes mit einem Elektrorollstuhl die Zeitungen aus!
Natürlich ist mir bewusst, dass der Job des Zeitungszustellers keiner ist, der vor allem junge Leute hinter dem Ofen vorlockt. Dass allerdings Menschen, die offensichtlich völlig kaputt auf den Knochen sind, diese Arbeit übernehmen müssen, schockte mich durchaus. Nach dem Anruf beim Verlag wusste ich, dass der Herr nur eine Vertretung für die eigentliche Zustellerin ist, die gestürzt ist. Und neben der oben zitierten Aussage ließ mich die Dame vom Vertrieb wissen, dass derzeit wohl sehr viele Zusteller (die allesamt Subunternehmer sind) Doppel-, Dreifach- und Vierfachschichten fahren müssen – und die Zustellung der Zeitung schon mal bis 11 oder 12 Uhr dauern kann. Heute waren meine Zeitungen bis 8.45 Uhr übrigens noch nicht da. Kann ich ja dann lesen, wenn ich wieder daheim bin…
Wer hätte das gedacht – da machen wir uns Gedanken darüber, wie die Zeitung der Zukunft aussehen soll und welche Inhalte rein gehören. Stattdessen entpuppt sich der Vertrieb als wohl größte Herausforderung der Verlage.
Auf der anderen Seite: Vielleicht kann man froh sein, dass die Zustellung der Zeitungen nicht von den Kollegen der schneckengleichen LVZ-Post übernommen wird…
Aha, Menschen mit Behinderung wählen ihren Job nicht selbst, sondern „müssen“ für die LVZ arbeiten. Interessant.
Ja, GANZ GENAU SO war das gemeint… Meine Güte… Natürlich wählen Menschen mit Behinderung oder körperlichen Einschränkungen ihren Job selbst. Ich fand es nur übel, dass der arme Mann vier Schichten fahren und 3 Uhr anfangen muss, weil es offenbar zu wenige Interessenten für den Job gibt.
Den Verlagen setzt zu, dass sie künftig Mindestlöhne zahlen sollen. Bisher waren das ja alles Zubrotjobs. Wenn sie nun in volle Stellen verwandelt werden sollen, geht die Rechnung nicht mehr auf. Tja. Kann man gut oder schlecht finden. Aber den Verlagen hilft es definitiv nicht.
„Sie müssen Mindestlöhne zahlen.“ ? Ich finde es äußerst dreist, dass sie so einen Knochenjob _nicht_ ordentlich bezahlen. Wenn du jeden Morgen um drei Uhr morgens aufstehst, um dann zwei, drei Stunden bei Wind und Wetter durch die Stadt laufen mußt, dann ist das geringste, was ich erwarten würde, eine ordentliche Bezahlung.
Willkommen in der Welt des Arbeitskräftemangels: der Zustand mit doppelten und dreifachen Touren begann schon 2011, mittlerweile ist es normal mindestens 2 Touren zustellen zu müssen. Und da gibt es wenn man Glück hat mal zum Anfang der Tätigkeit eine Wetterjacke, aber keine Schuhe oder Handschuhe. Vor 3 Jahren gab es zu Weihnachten Spikes, als ich dieses Jahr nach neuen fragte hieß es, haben wir nicht. Die Jacke fällt auch bald auseinander, auch da gibts keine neue. Und bei der mickrigen Bezahlung ist es kein Wunder, dass das keiner mehr machen will. Und die verbliebenen Zusteller buckeln jeden Morgen, um die Zeitungen überhaupt halbwegs pünktlich zuzustellen, da man ja nur ein Zeitfenster hat, was im Normalfall für eine Tour reicht. Und nur zur Info: die Zusteller der LVZ Post und die Zeitungszusteller sind oft die gleichen Leute: die fangen früh um 3 mit der Zeitung an, dann gehen sie nach Hause, müssen ihre Briefe selbst sortieren und die dann anschließend austragen.
> Den Verlagen setzt zu, dass sie künftig Mindestlöhne zahlen sollen.
Leistung muß bezahlt werden – und ich rede nicht von „Mindestlöhnen“. Eine Firma, die das nicht kann und vor allem nicht will, hat keine Existenzberechtigung.
Genau , Leistung muß bezahlt werden.
Moni du sprichst meine Sprache,mit Minijob hat das nichts mehr zu tun,was da mini ist ist die Bezahlung.