Frühförderung mit der Schreibmaschine

schreibma.jpg„Mein Name fängt mit einem ‚E’ an“, sagt die vierjährige Eileen, während sie gleichzeitig auf den richtigen Buchstaben der Schreibmaschine zeigt. „Ich kann schon meinen ganzen Namen schreiben“, verkündet daraufhin die gleichaltrige Alida und fängt wie selbstverständlich an, die entsprechenden Tasten auf der alten „Erika“ zu drücken. Frühförderung ist das, was die Kindertagesstätte Tausendfüßler mit Hilfe von ausgedienten Schreibgeräten betreibt. Mit Erfolg.

Motorische Fähigkeiten, Kommunikation und Entwicklung erster Deutschkenntnisse sind die hauptsächlichen Kompetenzen, die Erzieherin Susann Günther fördern will. Sie hatte die Idee zum Schreibmaschinenunterricht im Kindergarten. „Ich habe gemerkt, dass die Kinder von selbst nachfragten, wie ihr Name geschrieben wird und wie das Wort auf den Taschentüchern oder der Saftpackung heißt. Also überlegte ich, wie man den Kleinen auf spielerische Weise Wort und Schrift nahebringen kann. Schreibmaschinen erschienen mir dabei als die logische Wahl“, berichtet die Pädagogin.

Hilfe fand sie bei Beate Schade. Ihr Sohn Richard besucht die Einrichtung, sie selbst ist kaufmännische Angestellte bei der Leipziger Volkszeitung. „Ich fand die Idee prima und veröffentlichte in der LVZ-Betriebszeitung einen Aufruf an alle Mitarbeiter, nicht mehr benötigte Schreibmaschinen an mich zu schicken“, sagt sie. Die Resonanz konnte sich sehen lassen: „Fünf ausgediente aber voll funktionstüchtige Maschinen bekam ich. Eine sogar von einer Mitarbeiterin aus Dresden. Die schickte das Gerät über die Hauspost, also per Kurier, der sonst nur Briefe und Belege bringt.“ Zwei ehemalige Mitarbeiterinnen, die bereits in Rente sind, brachten die Schreibgeräte direkt vorbei, die restlichen zwei stammten von Kollegen aus dem Haupthaus Petersteinweg.

Das war im September letzten Jahres. Seitdem üben die Kinder wann immer es klappt, die Tasten zu drücken. Was gar nicht so einfach ist für kleine Hände, die sonst Bausteine oder Puppen in der Hand halten. „Da musst du richtig draufhauen, sonst geht das nicht“, weiß die vierjährige Selina und führt, unterstützt durch die zur Oberlippe geführte Zunge, vor, wie man die Buchstaben zu Papier bringt. Das anschließende Anschlagsgeräusch quittiert sie mit einem „Jetzt hab ich Quatsch geschrieben“. Was aber nicht schlimm zu sein scheint, denn auch andere Kinder haben scheinbar keinen Sinn ergebende Buchstabenketten gebildet. „XZFSOPY“ kann man auf einem Zettel lesen. „Geheimschrift!“, meint die dreijährige Leonie geheimnisvoll und zeigt gleich ein ganzes A4-Blatt mit den ungewöhnlichen Worten, die nicht jeder lesen kann.

Dass diese aber durchaus ihre Berechtigung haben, erklärt Susann Günther: „Die Kinder sammeln hier erste Erfahrungen mit Buchstaben. Durch die Arbeit an der Schreibmaschine lernen sie die Unterschiede kennen, dass manche Buchstaben rund sind, andere nicht und so weiter.“ Und obwohl die Gruppe nicht dieses Jahr eingeschult wird, zählen die Tippübungen bereits zur Schulvorbereitung. „Es ist wichtig, dass mit den Vorbereitungen auf den Schulalltag so zeitig wie möglich begonnen wird und nicht erst im letzten Jahr, wie das meist gehandhabt wird. Eigentlich sollte die gesamte Kindergartenzeit als Schulvorbereitung gesehen werden“, meint die Erzieherin der Einrichtung der Volkssolidarität.

Praktische Einsätze für bleibende Erinnerungen hatten die Schreibmaschinen auch schon. „Wir haben ein Herbarium gebastelt und neben die gesammelten und gepressten Blätter die Namen der Bäume geschrieben“, so Susann Günther. Das klappte nicht immer einwandfrei, sagt diese. „Allerdings haben sich die Kinder bereits sehr genau untereinander kontrolliert, ob auch die richtigen Buchstaben getroffen wurden“, schmunzelt sie.

Spielerischer Umgang mit der deutschen Sprache, gespickt mit ein wenig Ernsthaftigkeit. Den Kleinen macht es Spaß. Vor allem, wenn Erwachsene versuchen, die „Geheimschrift“ vorzulesen. „TAFGUZSAB“ – da schallt das Gruppenzimmer vor Lachen. Und kleine Kinderaugen glänzen stolz über den ersten selbst geschriebenen Satz.

Erschien am 31.01. 2007 in der Leipziger Volkszeitung.