Am 23. Januar 2009 erschien nachfolgender Artikel von mir in der Leipziger Volkszeitung. Auf die Geschichte hin meldete sich der MDR bei mir, um Protagonistin Irma Berger in die Talkshow „Unter uns“ einzuladen. Heute, am 27. Februar 2009, ist die 77-Jährige, die nicht aufhören will, zu arbeiten, zu Gast in eben jener Sendung. 22 Uhr im MDR-Fernsehen.
Taucha/Leipzig. Am 8. Januar feierte Irma Berger ihren 77. Geburtstag. An diesem Donnerstag ruhte sich die Tauchaerin aber nicht zu Hause aus, sondern ging auf Arbeit. „Das war doch nicht so wichtig, soll ich nur wegen meines Geburtstages die wichtige Schulung sausen lassen?“, fragt sie. „Meine Gäste kamen eh erst abends, darum konnte ich vormittags genau wie alle anderen zur Arbeit gehen“, sagt die rüstige Frau. Seit über drei Jahren arbeitet sie begleitend zur Rente im Callcenter der TAS Telemarketing AG in Leipzig. Und denkt noch lange nicht ans Aufhören.
Irma Berger hat schon einiges erlebt. Einer Lehre als Schneiderin, die sie mit 14 Jahren begann, folgte eine Ausbildung als Stenotypistin, dann arbeitete sie im Zirkus als Zauber-Assistentin ihres Mannes, später als Aufsichtsperson in einer Spielothek. Drei Männer hatte sie, der erste verstarb, mit dem zweiten wurde sie nie glücklich und den dritten lernte sie im Baukombinat kennen, wo sie als Einkäuferin beschäftigt war. Kurzum: Man könnte meinen, Irma Berger könnte sich nun zurücklehnen und Ruhe einkehren lassen in ihr Leben. „Aber warum sollte ich das tun? Hier auf Arbeit sind alle Mitarbeiter jünger als ich, sie geben mir viele Anregungen für Gespräche, die ich zu Hause nicht hätte“, sagt sie und schaut dabei sehr entschlossen. „Wissen Sie“, fährt sie fort, „wenn ich im Bus mit älteren Leute fahre, weiß ich nicht, worüber ich mich mit denen unterhalten soll. Die reden nur über ihre Zipperlein und wie das Wetter ist. Das ist absolut nicht meine Welt.“ Zwar plagen auch sie einige „Kleinigkeiten“, wie sie ihre kürzliche Hüft- und Beinoperationen nennt. „Aber die Wehwehchen sind auszuhalten“, meint sie. Und so geht sie, während andere in ihrem Alter den Lebensabend genießen, ins Callcenter und telefoniert mit Versandhaus-Kunden, macht Termine und besucht Schulungen. Gegen das Wort Lebensabend hat sie ohnehin etwas. „Ich weiß nicht, was man darunter verstehen soll. Im Alter, gerade jetzt, wenn man Zeit hat, kann man sich doch nicht abschotten. Ich jedenfalls will was erleben, brauche täglich Anregungen, um meinen Kopf anzustrengen. Das kann ich am Besten auf Arbeit“, betont die rüstige Frau.
Seit ihrem 60. Lebensjahr ist sie in Rente. „Die wollten mich nach BRD-Recht in den Ruhestand abschieben, aber ich habe geklagt, dass ich als Bestandsrentner eingestuft werde und meine Bezüge nach DDR-Recht berechnet werden. Das war nämlich mehr als die BRD-Rente“, berichtet sie. Zu Hause wurde es ihr schnell langweilig. „Da saß ich nun und merkte, dass das nichts für mich ist. Also studierte ich die Anzeigen in der Zeitung“, so Irma Berger. Kurze Zeit später bewarb sie sich bei einer Spielothek als Aufsichtsperson. Ihr Sohn, bei dem sie heute im Haus wohnt, riet ihr ab. Doch wenn sich „Irmchen“, wie sie heute von ihren Kolleginnen genannt wird, etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht sie das auch durch. „Das war eine Arbeit wie jede andere auch, man kam mit den unterschiedlichsten Typen zusammen. Acht Jahre war ich dort, eine schöne und interessante Zeit“, resümiert sie. Auch in einem Erotikshop half sie aus. „Das war mir aber nichts, da ging es wenig geordnet zu.“ Zur Leipziger TAS kam sie durch einen Berufetag im Leipziger Rathaus. „Da stellten sich Unternehmen vor, die Mitarbeiter suchen“, erzählt sie. Beim späteren Bewerbungstest konnte sie punkten: „Ich musste einen Gegenstand beschreiben, der sehr ungewöhnlich aussah. Bei näherer Betrachtung stellte ich fest, dass es ein Anspitzer war. Da hatte ich Oberwasser, weil ich gern mit Bleistift schreibe. Das ist sauberer und man kann Fehler wieder korrigieren.“ Eine Erklärung, die überzeugte – Irma Berger bekam den Job. Mit 73 Jahren.
Eine selbst gesetzte Grenze, wann sie sich endgültig in den Ruhestand begeben will, hat sie nicht definiert. „Darüber denke ich nicht nach“, so die Tauchaerin. In den nächsten Tagen will sie ihren Arzt aufsuchen, um ihn zu fragen, wann sie nach ihrer Beinoperation wieder ihrem Hobby Nordic Walking nachgehen darf. „Das vermisse ich nämlich sehr.“