Ostprodukte sind im Jahr 20 nach der Wende angesagter denn je. Ob Konsumgüter oder Industriewaren – es wird wieder „Ost“ gekauft. Doch es genügt nicht, nur auf die Herkunft zu setzen.
Im Frühjahr 2005 verhalf ausgerechnet eine TV-Castingshow einem Ostprodukt zum Erfolg in Gesamtdeutschland. Unter dem Namen Nu Pagadi feierte damals die Gewinnerband des Pro-Sieben-Formats „Popstars“ erste Erfolge. Den gleichen Namen trägt ein Produkt aus dem sächsischen Radebeul. „Plötzlich war unsere Frühstückscreme Nu Pagadi sprichwörtlich in aller Munde“, erinnert sich Karl-Heinz Hartmann, Geschäftsführer der heutigen Sächsischen und Dresdner Back- und Süßwaren. Nach 14 erfolgreichen Jahren in den neuen Bundesländern wagte der Manager mit seinen Nudossi-Produkten die Ausweitung des Verkaufsgebietes auf verschiedene Länder im Altbundesgebiet.
Die Popband existierte nur ein Jahr. Nudossi dagegen wird – nach zwischenzeitlich überstandenem Insolvenzverfahren – noch immer verkauft, auch im Westteil der Republik. Im Jahr 2009 stieg der Umsatz des Unternehmens um zehn Prozent. Was nicht allein dem „Ostbonus“ zu verdanken sei, wie Hartmann meint: „Vor allem die jungen Menschen interessiert es nicht, ob wir eine ehemalige DDR-Marke sind. Die wollen Qualität und genau darüber profilieren wir uns“, sagt er. Ein Konzept, das aufzugehen scheint: Ein Test der Zeitschrift Öko-Test bescheinigte Nudossi qualitativ hochwertige Inhaltsstoffe und zeichnete die Nuss-Nougat-Creme mit einem „sehr gut“ aus. Das Konkurrenzprodukt Nutella bekam dagegen nur den Stempel „gut“.
Rund 700 Marken gab es zu DDR-Zeiten, nur jede Fünfte hat überlebt. Und diese erleben gerade ein Revival. Doch bislang kauft vor allem die Generation 50 Plus die Produkte, die bereits vor der Wende bekannt waren. Volker Müller, Abteilungsleiter Markt- und Mediaforschung des Instituts für Marktforschung Leipzig, rät Herstellern typischer Ostprodukte daher, nicht länger nur an ihrer ostgeprägten Markengeschichte festzuhalten. „Zielführender ist es, eine eigene Markenwelt aufzubauen, um alle Altersgruppen anzusprechen“, empfiehlt er. Ein Ende des Ost-Revivals sei absehbar. „Das wird auf lange Sicht gesehen nicht ausbleiben. Ewig können die Unternehmen nicht vordergründig nur von ihrer regionalen Herkunft zehren“, prognostiziert Müller: „Das funktioniert höchstens noch bei Lebensmittelprodukten, bei denen Aspekte wie Regionalität, Frische oder biologische Erzeugung stärker zum Tragen kommen.“
Den Handel überzeugen
Ein Unternehmen, das mit Erfolg bewusst auf seine Tradition setzt, ist Halloren, Deutschlands älteste Schokoladenfabrik. Eine Tradition, die Konkurrenten aus den alten Bundesländern nach der Wende nicht einzuschätzen wussten, berichtet Marketingleiter Tino Müller: „Wir wurden von der Treuhand verwaltet, das Unternehmen verschiedenen Produzenten zum Kauf angeboten, etwa Dr. Oetker und Jacobs. Glücklicherweise verkannten diese den Wert unserer Marke und hatten gar kein Interesse, uns zu kaufen.“
Stattdessen kam ein Investor aus Hannover und investierte in den Schokoladenstandort Halle/Saale. „Dieser griff auf unsere Geschichte und unseren Namen zurück und belebte Halloren wieder neu“, erzählt der Marketingleiter. Leichter hatte es das 1804 gegründete Unternehmen dadurch aber nicht. „Wir wurden vom Handel anfangs nicht gelistet. Die Mitarbeiter verkauften unsere Waren vom LKW, um den eigenen Arbeitsplatz zu sichern“, schildert Müller die schwierige Zeit nach der Wende. Die Rückbesinnung setzte erst drei Jahre später ein. Kunden erinnerten sich an die einstige Bückware. Überzeugungsarbeit kostet auch der Markteintritt in die alten Bundesländer. „Es war schwer, den Westen davon zu überzeugen, Regalplätze für ein Ostprodukt zu räumen“, blickt Müller zurück: „Erst nach Verkostungen und anstrengenden Verhandlungen konnten wir uns beweisen.“
Halloren entwickelte neue Produkte und profitierte von „mediengemachten Ostalgiewellen“, wie es Tino Müller ausdrückt. „Allein darauf zu vertrauen wäre natürlich zu wenig, daher betreiben wir aktiv Marktforschung“, sagt er. Heute setzt Halloren unter dem Vorstandsvorsitz von Klaus Lellé auf Genuss und Exklusivität. Für das laufende Jahr hat sich der Unternehmenschef ehrgeizige Ziele gesetzt: Der Umsatz soll um gut acht Prozent auf 57 Millionen Euro gesteigert werden. Die regionale Herkunft spielt bei der Kundenansprache kaum noch eine Rolle. „Wir bewegen uns absichtlich in einem hochwertigen Bereich. Es geht nicht um Menge, sondern feinste Qualität. Das ist es, was der Handel honoriert, und das war auch unsere einzige Chance, in den alten Bundesländern Fuß zu fassen“, sagt Müller.
Mit Vertrauen punkten
Oder anders ausgedrückt: Vertrauen schafft Nähe. Nach einer Studie der Empirischen Gesellschaftsforschung Hamburg ist es vor allem dieser Faktor, mit dem Marken im Osten punkten (siehe Grafik Seite 40). Ihre Ost-Marke kennen Verbraucher seit Jahren – mit ihrer „guten alten DDR-Marke“ identifizieren sie sich. Diese Nähe zum Konsumenten mussten sich die Hersteller nach der Wende allerdings wieder neu erarbeiten. So kämpfte auch die Marke Fit anfangs ums Überleben. Das Unternehmen aus dem sächsischen Zittau, das mit seinem gleichnamigen Spülmittel quasi den Standard in der Küche der ostdeutschen Hausfrau definierte, fand anfangs nicht in die neuen Handelsketten. Wie bei Halloren stellten sich die Mitarbeiter mit Lastwagen vor die Märkte und fanden treue Kunden, die auf ihr Fit nicht verzichten wollten. „Wir hatten Erfolg, wurden wieder gelistet, der Grundstein war gelegt“, blickt Geschäftsführer Wolfgang Groß zurück.
Heute profitiert Fit zum einen von der Bekanntheit und markanten Produkteigenschaften wie der seit jeher unverwechselbare Form der Spülflasche. Zum anderen hat das Unternehmen kräftig investiert. Seit der Privatisierung sind nach Angaben des Geschäftsführers über 82 Millionen Euro, auch für moderne Produktionsanlagen, ausgegeben worden. Das Portfolio wurde erweitert. „Wir erfüllen die Marke immer wieder mit Leben“, so Groß: „Aus diesem Grund ist Fit mittlerweile nicht nur ein Synonym für ein Handspülmittel. Unter der Dachmarke gibt es längst auch Produkte für die Spülmaschine und eine Vielzahl von Haushaltsreinigern.“
Erfolgsfaktor Innovation
Diese sogenannten Line- und Brand-Extensions wie auch deutliche Produktverbesserungen sind wesentlich für den Markenerfolg. Innovative ostdeutsche Unternehmen konnten in den vergangenen Jahren oft deutliche Steigerungen an Umsatz, Marktanteilen und Verbreitungsregionen verzeichnen. Unternehmen, die jedoch überwiegend auf Kontinuität setzten, verharrten hingegen auf dem niedrigen Niveau der Nachwendezeit, ergab die Studie der Empirischen Gesellschaftsforschung Hamburg. Für jeden dritten ostdeutschen Markenmanager ist Innovation ein entscheidender Erfolgsfaktor.
Doch während die DDR-Marken im Osten ein Comeback feiern, tun sich viele im Westen immer noch schwer. Rotkäppchen-Produkte werden nach der Verbraucher-Analyse 2009 von jedem Zweiten in den neuen Bundesländern getrunken, aber nur von jedem Zehnten in den neuen Bundesländern. Florena Handcreme nutzt jeder vierte Ostdeutsche, aber nur 5,8 Prozent der Westdeutschen. Ähnlich klafft die Relation bei Traditionsmarken wie Spee, Radeberger oder Vita-Cola auseinander. „Die Verbraucher im Altbundesgebiet sind ihren Marken sehr treu. Das macht es für uns schwierig, unsere Produkte dort zu platzieren“, erklärt Marketingmanagerin Verena Pauls vom Schokoladenwerk Berggold im thüringischen Pößneck. Die Markenbekanntheit von Berggold liege im Osten bei rund 70 Prozent, im Westen deutlich geringer. In den alten Bundesländern sei Herkunft kein aussagekräftiges Merkmal und Ostalgie daher keine zugkräftige Strategie, sagt Pauls.
Was zählt, ist Qualität. „Firmen gehen oft mit ihrer Herkunft hofieren. Das ist höchstens für Kunden wichtig, die regionale Produkte bevorzugen“, meint Peter Baum, Geschäftsführer der Aromatique Spirituosenfabrik im Thüringischen Neudietendorf: „Natürlich sind die Thüringer für ihre kulinarischen Spezialitäten bekannt. Davon profitieren auch wir. Aber wenn die Qualität nicht stimmt, nützt mir die Herkunft wenig.“
Kein Ostbonus
Das gilt für Konsumgüter ebenso wie in der Industrie, national wie international. „Kaufentscheidend sind Qualität, Preis und Zuverlässigkeit“, ist Holger Lieberwirth, Geschäftsführer des Schwermaschinenbauer Takraf aus Leipzig überzeugt: „Besondere Standortvorteile aus der Lage im Osten Deutschlands lassen sich für unser Unternehmen aufgrund des weltweiten Geschäftes nicht ableiten. Unsere Mitarbeiter in Leipzig und Lauchhammer kommen aus allen Teilen Deutschlands, aber auch aus Russland, Kasachstan oder Chile. Und für einen Kunden in Indien oder Kanada ist es 20 Jahre nach der Wende völlig irrelevant, aus welcher Region unsere Ingenieure stammen.“
Karl Schwald, Geschäftsführer beim Spezialschmierstoffhersteller Elaskon Sachsen, pflichtet ihm bei: „Für weltweiten Erfolg ist die regionale Herkunft unwichtig. Ob das Produkt seine Wurzeln im Sozialismus hat, spielt keine Rolle. International zählt nur ,Made in Germany’.“ Dennoch sei der Standort für die Basisarbeit wichtig gewesen. „Elaskon hatte im Osten einen guten Namen, den konnten wir nutzen, um neue Marktsegmente zu erschließen, vor allem im Bereich der Formen- und Trennmittel“, erklärt Schwald. Massiv ausgebaut wurde das Segment der Seilschmierstoffe. „Hier haben wir richtig Dampf gemacht und liefern heute in 54 Länder der Erde“, berichtet Schwald: „Dafür war nur wichtig, dass wir aus Deutschland stammen.“
Der Heimat verbunden
Wenn auch die ostdeutsche Herkunft im Westen und dem Rest der Welt nicht absatzentscheidend ist, die regionale Verbundenheit der Mitarbeiter trägt maßgeblich zum Erfolg bei. Dies beweist die Geschichte von Piko Spielwaren im südlichen Thüringen. „Sonneberg ist von jeher eine Spielzeughochburg und die Einwohner sind ein treues Volk. Entsprechend stehen die Mitarbeiter zum Unternehmen, einfach weil sie auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken können“, sagt René F. Wilfer, Geschäftsführer des Modellbahnherstellers. Im Jahr 1992 kaufte er das Werk von der Treuhand. „Ich habe das Potenzial gesehen und es gab eine realistische Chance, die Tradition unter modernen Gesichtspunkten fortzuführen“, so Wilfer.
Heute zählt Piko in seinem Segment in Ostdeutschland zu den Marktführern. Deutschlandweit sieht der Geschäftsführer seine Marke an dritter Stelle. Den langfristigen Erfolg begründet Wilfer mit konsequenter Führung. „In schwierigen Zeiten schnallen wir den Gürtel enger, aber eben bereits vor der Pleite“, sagt er mit Blick auf die Insolvenz des West-Konkurrenten Märklin, der bis Mitte 2007 auch in Sonneberg produzierte. „Die sind nach der Wende hergekommen, haben furchtbar Tamtam gemacht, großspurig auf die kleine Firma Piko geschaut und wollten von den vergleichsweise niedrigen Löhnen am Standort profitieren“, erinnert er sich.
Von der regionalen Verbundenheit der Mitarbeiter profitiert auch Merkel Jagd- & Sportwaffen aus Suhl. „Die Region ist seit jeher stark verbunden mit unserem Handwerk, hier gibt es die Büchsenmacher- und Graveurschule, die genau die speziell ausgebildeten Experten hervorbringt, die wir benötigen“, sagt Geschäftsführer Olaf Sauer. Auch Gerhard Köhler, Geschäftsführer von Orwo Net bezeichnet seinen Standort in Sachsen-Anhalt als „wesentlich für den Erfolg. Das 1909 gegründete Unternehmen betreibt in Wolfen heute eines der führenden Fotogroßlabore Deutschlands. „Zahlreiche Mitarbeiter leben und arbeiten seit vielen Jahren hier und sind mit der Region fest verwurzelt“, so Köhler. Die Beibehaltung des Names Orwo war dabei nach dem politischen Umbruch schon „aus psychologischen Gründen wichtig“, bekräftigt Köhler: „Den Namen kannten die Leute seit Jahrzehnten, wir wollten ihn daher unbedingt beibehalten.“ Was sich komplett änderte war das Produktportfolio. Mit seinen Vertriebsmarken Orwo direkt und Pixelnet ist das Unternehmen nach turbulenten Jahren seit Oktober 2003 wieder auf Erfolgskurs. Im November 2009 übernahmen die Wolfener die Rechte der durch die Arcandor-Insolvenz ins Straucheln geratenen Traditionsmarke Foto-Quelle und sorgten damit für Aufsehen.
Die Übernahme von westdeutschen Marken beweist die wirtschaftliche Stärke und das Selbstbewusstsein, mit der ostdeutsche Unternehmen der Konkurrenz Paroli bieten. Fit war im Jahr 2000 das erste ostdeutsche Unternehmen, das diesen Schritt ging: Rei, Rei in der Tube und Sanso fanden ins Portfolio der Sachsen. Im vergangenen Jahr wurde dieser Kurs mit der Übernahme der Marken Kuschelweich und Sunil im Großgebinde fortgesetzt. Einen ähnlichen Expansionskurs verfolgt Halloren. Die Confiserie Dreher aus Bad Reichenhall wurde 2001 als 100-prozentige Tochter ins Unternehmen integriert, es folgte die Confiserie Chocolaterie Weibler aus dem niedersächsischen Cremlingen und die Delitzscher Schokoladenfabrik mit ihren modernen Produktionsanlagen. Seit 2008 ist Halloren Lizenznehmer von Mövenpick und stellt im Auftrag das gesamte Trüffelsortiment des Schweizer Unternehmens her.
Das Revival der ostdeutschen Produkte und Unternehmen birgt noch viel Potenzial. Ostalgie ist jedoch keine tragfähige Zukunftsstrategie. „Ostmarken, die nur auf Nostalgie setzen, gehen gemeinsam mit ihrer alten Klientel in die Rente“, mahnt Jan Pechmann, Geschäftsführer der Berliner Strategieagentur Diffferent (siehe Interview Seite 43). Überzeugungskraft hätten vor allem die ostdeutschen Werte. Pechmann: „Ostdeutsche Tugenden wie Gemeinschaftssinn, Hilfsbereitschaft, Familienorientierung machen nicht nur die ostdeutschen Konsumenten stolz, sondern besitzen auch eine hohe Relevanz und Zukunftsfähigkeit bei westdeutschen Konsumenten.“ Nur wer es schaffe, seine Marken emotional aufzuladen, gewinnt.
Allein auf die Vergangenheit zu vertrauen, ist kurzsichtig. Denn jeder Retrotrend klingt irgendwann aus. Und spätestens dann ist frisches Denken und Innovation gefragt. Denn selbst die stärkste Verbundenheit fordert immer wieder aufs Neue den Vertrauensbeweis. Was langfristig zählt, sind Qualität und Produktrelevanz – in Ost und West.
Erschienen in WERTE, Kundenmagazin der Sachsen Bank, Ausgabe Juni 2010 unter Mitarbeit von Karen Arnold.